Die Brutalität der Schönheit


nach Motiven des Films "The Square" von Ruben Östlund

von Paulina Neukampf und Sandra Höhne

 

Schlosstheater Moers

Premiere Mai 2022

4×4 Meter Markierung im öffentlichen Raum: „The Square“ ist Kunstwerk, soziales Experiment und Versprechen im einem. Wer die markierte Fläche betritt, ist der Realität enthoben, befindet sich in einer Zone, in der alle gleich sind, die gleichen Rechte und Pflichten haben. Das Quadrat zwingt die Besucher*innen dazu, den Blick nicht abzuwenden, sondern einander anzusehen und bedingungslos zu helfen, es nötigt zur Achtsamkeit. Doch was bedeutet diese Versuchsanordnung in der „echten“ Welt? Wie lässt sich elitärer Kunstanspruch auf eine Wirklichkeit anwenden, deren soziale Ungleichheit immer größer wird? Und wo verlaufen die Grenzen unserer Mitmenschlichkeit?

„Die Brutalität der Schönheit (AT)“ ist für Wallzentrum konzipierte immersive Ausstellung über unser Zusammenleben, die an diskreter Brutalität kaum zu überbieten ist.

 

 

Mit: Joanne Gläsel | Georg Grohmann | Emily Klinge | Matthias Heße | Roman Mucha

Dramaturgie: Sandra Höhne

Bühne und Kostüm: Sarah De Castro, Paulina Neukampf

Sound: Sarah De Castro


Wie wird ein Objekt „Kunst“? Dadurch, dass es im Museum steht? Was macht die immer stärkere Ökonomisierung mit dem Kunstbetrieb, und den Menschen, die dort arbeiten? Und was ist die Rolle derer, die Kunst betrachten und erleben? Werden sie automatisch Teil eines Werkes, ist ihnen eine reine Konsumentenrolle zugewiesen, sind sie gar notwendiges Übel? Diese Fragen stellt auch „Die Brutalität der Schönheit“ direkt, witzig und – durch die vielen Verzahnungen und Übergänge – durchaus raffiniert. Die Hauptrolle wird hier von einer Frau übernommen. Emily Klinge lässt als Kuratorin eine Lebenskrise höchstens ahnen. Wir erleben sie nur in zwei „privaten“ Szenen:  im Interview mit einer Journalistin, das offensichtlich zu einer sexuellen Begegnung führt, und beim „Nachgespräch“ hierzu. Diese Kuratorin genießt offensichtlich ihre Machtposition und ist an Erfolg und dem Wirkungsgrad ihrer Arbeit wesentlich mehr interessiert ist als an Ästhetik oder gar Inhalten. Das lässt schnell an die eine oder andere aktuelle Führungspersönlichkeit in Kunst und Kultur denken (…)

 

Überhaupt ist die Aufführung immer dann am stärksten, wenn sie von uns Publikum Entscheidungen fordert. So sollen wir kurz vor dem Ende Smartphones und Schlüssel abgeben, um „Vertrauen“ zu demonstrieren. Gleichzeitig wurde uns eine Mahlzeit avisiert – und wir sehen in einen Innenhof mit weiß überzogenen Stehtischen, Obst und Getränken. Werden wir auch Sekt trinken dürfen, wenn wir unsere Smartphones für uns behalten? Und wie kriegen wir sie zurück? (...)

 

Was die Qualität, vor allem das sinnliche Erlebnis von „Die Brutalität der Schönheit“ aber allenfalls unwesentlich mindert. Der Drive der Aufführung, der Erfindungsreichtum, die nie aufgesetzten ironischen Brechungen und der dezidierte Umgang mit Schauspieler und Rolle einerseits und der Rolle und dem Rollenverständnis des Publikums andererseits reißen mit. Das präzise, leidenschaftliche und vor allem lebendige Spiel von Joanne Gläsel, Georg Grohmann, Matthias Hesse, Emily Klinge und Roman Mucha verstärken diesen Eindruck noch, die Sounds von Sarah De Castro spielen klug mit, setzen Rahmen, drängen sich aber nie in den Vordergrund. Keine Eitelkeit, aber auch keine Berührungsängste, nirgendwo. Der Prozess der Abschaffung der Inhalte als Inhalt. Theater für unsere Zeit.

Die Deutsche Bühne, 13.05.2022, Andreas Falentin


Foto: Lars Heidrich